Der Großteil der historischen Innenstädte Deutschlands ist gestalterisch und atmosphärisch ruiniert. Auf die Zerstörungen des Krieges folgten die Abrisse und Überformungen des Wiederaufbaus, angetrieben von der Sehnsucht nach einem sichtbaren Neuanfang, begleitet von funktionalistischen Entmischungsbestrebungen und der sich baulich ausdrückenden Systemkonkurrenz zwischen Ost und West. Seither prallen Strukturen und Gebäude unterschiedlichster Epochen und Systeme zum Teil völlig unvermittelt aufeinander und bilden ein allgegenwärtiges Dauerkontrastprogramm, welches zum Motto erhoben, bestenfalls als collagenhafter Städtebau bezeichnet werden kann.
Durch den unbekümmerten Mix aus historischen Fragmenten und Neubaumaßnahmen, die hauptsächlich den aktuellsten Bautendenzen Rechnung tragen, verlieren die Städte vor allem in Bereichen mit an sich schon heterogenen Strukturen zunehmend ihre Identität. Die Einzigartigkeit der städtischen Entstehungsgeschichte und die damit zusammenhängende regionale Baukultur sind architektonisch und stadträumlich nicht mehr erlebbar. Durch die einseitige Ausrichtung auf die Gegenwart in einer abstrakten und zunehmend plakativeren Architektursprache, hat das Gebaute an subtiler Vielschichtigkeit und damit an Erzählkraft verloren.
Dem entgegen zu wirken scheint dringend geboten und setzt ein analytisches Vorgehen voraus, das aus dem Fundus des Vorhandenen, des historisch Dagewesenen und des für die Zukunft zu Erhoffenden eines Ortes schöpft. Das Ergebnis sollte eine architektonisch wie städtebaulich passgenau auf den Ort zugeschnittene Lösung sein, mit einer Themengewichtung, die der Bedeutung des Ortes für das kollektive Stadtgedächtnis entspricht. So treten, um zum Beispiel die historische Keimzelle eines Ortes wieder erlebbar zu machen, Themen wie die Wiedergewinnung von Altstadtcharakter oder Altstadtatmosphäre in den Vordergrund. Um diesen näher zu kommen, ist eine strukturelle, typologische und architektonische Anlehnung an die Themen der Entstehungs- oder Blütezeit des Gebietes im Sinne von „Weiterbauen und in die Gegenwart transformieren“ sinnvoll.
Ohne Rekonstruktionen per se auszuschliessen, sollte die Architektur weder zeitlos noch zeitgemäß, sondern zeitübergreifend sein. Es geht den Verfassern nicht um die Wiederherstellung einer stilprägenden Epoche, sondern eher um das skizzenhafte Aufzeigen der großen epochenübergreifenden Entwicklungen der regionalen Bautraditionen eines Gebietes, auf der Basis ihrer jeweiligen Ursprungsepoche. Das Ziel ist also, durch die Bezugnahme auf die Geschichte und Umgebung eines Ortes Rahmenbedingungen für eine vielschichtige Architektur zu schaffen, deren übergeordnete Aufgabe darin besteht, sich mit der bestehenden Umgebung harmonisch zu verbinden und mit den Mitteln architektonischer Erzählkraft, einen Beitrag zum tieferen Verständnis eines Ortes zu leisten - vor allem, wenn dieser nicht mehr für sich selbst sprechen kann. Die individuelle Handschrift des Architekten zeigt sich dabei in der kompositorischen Zusammenführung und Verdichtung des zur Verfügung stehenden Themenmaterials zu einem neuen eigenständigen Ganzen.